Die Kundgebungsteilnehmer:innen halten Schilder mit den Buchstaben des Spruches "Bring back our neighbours!"

Kundgebung: Bringt uns unsere Nachbarn zurück

Heute fand auf dem Pirnaer Markt eine Kundgebung unter dem Motto bring back our neighbours statt. Neben vielen Vereinen und der Zivilgesellschaft waren auch wir als LINKE stark vertreten. Unter den Redebeiträgen konnten wir ein Grußwort von Dr. André Hahn und Juliane Nagel aus der Linksfraktion Sachsen verlesen.

Redebeitrag André Hahn:

Wiedereinreise nach inhumaner Abschiebung ermöglichen!

„Die Abschiebung der neunköpfigen georgischen Familie aus Pirna in den Morgenstunden des 10. Juni nach Tiflis macht mich fassungslos. Ich habe überhaupt kein Verständnis für diese inhumane Maßnahme der beteiligten Ausländerbehörden. Sie haben die beachtlichen Integrationsleistungen der Familie, die längst in Pirna verwurzelt ist, überhaupt nicht berücksichtigt und eine Traumatisierung der Kinder billigend in Kauf genommen. Das Landratsamt muss jetzt unverzüglich konkrete Schritte unternehmen und jegliche Maßnahmen unterstützen, um die Rückkehr der Familie zu ermöglichen, anstatt in einem unwürdigen Zuständigkeits-Pingpong die Verantwortung von sich zu weisen“, sagte Dr. André Hahn, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag anlässlich der Kundgebung „Bring back our neighbours“ auf dem Marktplatz in Pirna, an der er wegen der Sitzungswoche des Bundestages in Berlin nicht teilnehmen kann.

Hahn weiter: „Die Ausländerbehörden wie auch das Sächsische Innenministerium haben hier völlig unnötig auf Härte gesetzt und sämtliche Aspekte, die für einen weiteren Verbleib der Familie in Pirna gesprochen hätten, ganz offensichtlich außer Acht gelassen. Die in einer Nacht- und Nebelaktion erfolgte Abschiebung ist daher auch unter rechtlichen Gesichtspunkten mehr als fragwürdig, zumal auch ein ausstehendes Votum der Härtefallkommission nicht abgewartet wurde. Für die betroffenen Kinder ist Georgien ein weitgehend fremdes Land, die nächtliche Abschiebung hat sie zutiefst verstört. Die sächsischen Ausländerbehörden müssen generell das Kindeswohl viel mehr in den Fokus nehmen, anstatt Abschiebungen um jeden Preis zu betreiben.“

Zu der Frage, was jetzt konkret getan werden muss, erklärte MdB André Hahn abschließend: „Infolge der Abschiebung besteht derzeit für die Familie ein 30-monatiges Wiedereinreiseverbot nach Deutschland. Dieses muss zunächst aufgehoben bzw. formal auf 0 Monate reduziert werden. Diesbezüglich habe ich mich bereits an das Bundesinnenministerium gewandt. Zweitens muss der Familie durch die sächsischen Ausländerbehörden eine Betretungserlaubnis der Bundesrepublik mindestens bis zur Entscheidung der Härtefallkommission erteilt werden. Darüber hinaus sollte dem offenbar bereits vorliegenden Antrag der Familie auf Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration gemäß § 25 b Aufenthaltsgesetz stattgegeben werden. Diese Entscheidung kann und sollte in Sachsen getroffen werden. Dafür werde auch ich mich gern beim sächsischen Innenminister einsetzen.“

Redebeitrag von Jule Nagel:

Redebeitrag Solidemo gegen Abschiebung von Familie Imerlishvili, 24. Juni 2021, Jule Nagel

Ich möchte zuallererst meine Achtung für all das aussprechen, was die Unterstützer*innen, Freund*innen, Nachbar*innen und Berater*innen der Familie Imerlishvili seit dem 10. Juni unternommen haben. Familie Imerlishvili gehört nach Pirna. steht auf der Kampagnen-Website und daran besteht kein Zweifel! Es ist jedes Mal aufs Neue schockierend, wie sächsische Behörden sich genau darüber hinwegsetzen, über die schlichte Feststellung: Menschen, die hier um Schutz suchen, die hierher migrieren, gehören zu dieser Gesellschaft. Gehen und Bleiben sind Menschenrechte!

Das, was an diesem Fall besonders wütend macht, ist, dass nun Kinder in einem Land sind, dass sie nicht kennen. Ich bin wütend, so wie viele hier, die heute hier versammelt sind. Wegen des ausgebliebenen Anrufs beim Flughafens trotz klaren und rechtzeitigen Votums der Härtefallkommission, wegen der Familie aus Radebeul, wegen des Menschen, der aus der Erstaufnahmeeinrichtung Max-Liebermann-Straße in Leipzig mit Tuberkulose-Verdacht abgeschoben wurde. Aber es ist nicht nur Wut, die ich spüre. Ich will über die Wut hinaus eines: das alles verändern.

Als ich gestern in der Sächsischen Zeitung las, da war ich erneut daran erinnert, dass sich etwas ändern muss. Die Ausländerbehörde der Sächsischen Schweiz informierte tatsächlich geheim die Zentrale Ausländerbehörde, dass sie den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis wegen dem, was Integration genannt wird, ablehnen wird.

Ich halte das in all seiner Boshaftigkeit für regelrecht beispielhaft. Denn was da geschehen ist, zeigt den weit verbreiteten Willen in sächsischen Behörden, abzuschieben statt Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, das Ankommen anzuerkennen. Hier wurde nur die Abschiebebehörde, nicht aber die Familie, nicht Anne Nitschke als Anwältin informiert, wohlwissend, dass dann wohl andere Rechtswege gesucht worden wären. Beispielsweise die Härtefallkommission, dann mit noch rechtzeitigerem Votum, dann vielleicht auch mit einer sechsten Stimme unter den Kommissionsmitgliedern, die es auf dem Weg zum erlaubten Aufenthalt braucht.

Ich habe dem Landrat wie dem Innenminister per Brief gebeten, Wege zu suchen, die Familie zurückzuholen. Ich hoffe nun, dass der Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach 25b positiv beschieden wird und der Familie so ein Grund gegeben wird, zurückzukehren. Hier proaktiv festzustellen, dass die Abschiebung auf Grund des positiven Votums der Härtefallkommission rechtswidrig war, wird bei der Rückkehr helfen.

Ich bin mir sicher: Behörden, die schnell abschieben können, können auch die Rückkehr schnell organisieren. Jeder Tag, der hier verstreicht, bedeutet einen Tag verlorene Zukunft für die Kinder, für die ganze Familie. Deswegen erwarte ich von Staatsregierung wie Landratsamt, dass spätestens in Antwort auf die Kleinen Anfragen, die ich im Sächsischen Landtag zu der Abschiebung eingereicht habe, eine positive Nachricht des Innenministeriums vernommen werden kann.

Zum Abschluss eine Bitte: der Fall der Familie Imerlishvili hat uns allen erneut und dramatisch vor Augen geführt, zu was die Abschiebemaschinerie fähig ist. Fakt ist: so agiert sie seit Jahrzehnten. Wir haben das bei der Familie H. aus dem Dresdner Hechtviertel im Jahr 2017 in ähnlicher Fallkonstellation sehen können, einen Monat später auch bei Familie K. aus Dresden Tolkewitz. Meine Bitte an euch ist: nicht immer ist die Dramatik einer Abschiebung so offensichtlich wie bei Familie Imerlishvili, Familie H. oder Familie K. Auch wenn Kinder nicht in Deutschland geboren sind, auch dann wenn ein alleinstehender junger Mann abgeschoben wird, wenn jemand noch nicht die rechtlichen Hürden auf dem Weg in den Job überwinden konnte, auch wenn jemand aus einer Aufnahmeeinrichtung und nicht aus der Wohnung abgeschoben wird, wenn kein starkes soziales Netzwerk besteht, ja, auch wenn mal eine Straftat begangen wurde auch in all jenen Fällen ist immer das Menschenrecht infrage gestellt. Deswegen bleibt bitte kritisch, bleibt bitte wütend. Verfolgt, was bei Abschiebungen in Sachsen geschieht, stellt hier in Pirna und darüber hinaus die Öffentlichkeit, den Protest und den Widerspruch her, die es braucht, um wirklich etwas zu ändern in Sachsen, im gesamten bundesdeutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht. Ich verspreche, weiter im Landtag und im Stadtrat in Leipzig dafür zu kämpfen. Ich bitte euch, weiterhin zu kämpfen. Kämpfen um für die Selbstverständlichkeit sorgen, dass Flucht und Migration zu dieser Gesellschaft gehören, dass unsere Nachbar*innen zu uns gehören. Ob in Pirna, Dresden, Leipzig, in allen Orten, wo uns die Nachbar*innen genommen wurden, soll sich was verändern. Vielen Dank!